Die Spiel-Art bestimmt die Spiel-Weise

Erfahrungsbericht aus dem Klavierservice mit Hintergrundinformationen

Die Hammermechanik und das Dynamikspektrum

Als 1709 von Bartholomeo Cristofori das Hammerklavier erfunden worden ist, bestand die Innovation in der Hammermechanik. Typisch für die Hammermechanik ist der damit erreichte Fortschritt des Laut- und Leisespiels in Abhängigkeit von der Anschlagsdynamik des Spielwerks. Das so genannte Dynamik-Spektrum des Piano-Fortes reicht somit von Pianissimo bis Fortissimo. Zumindest theoretisch. Doch die Wahrheit ist, dass das Leisespiel bei den meisten Klavieren ebenso wie bei vielen Flügeln längst verloren gegangen ist. Dieser Trend wird folgendermaßen beschrieben: Laut spielen können alle. Leise spielen ist hingegen nur auf guten Klavier- und Flügelspielwerken möglich!

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Ja tatsächlich, was macht eigentlich das linke Pedal am Piano?

Leistung des Leise-Pedals

Bei den Klavieren wird das Handicap durch ein seit über 100 Jahren nicht mehr wirklich funktionierendes Leisepedal verschärft. Sie fragen: Ein Leisepedal? Ja, das linke Pedal, bei dem man am Klavier bei gleicher Anschlagsintensität in der Regel keinen Unterschied hören kann, soll eigentlich dazu beitragen, das Leisespiel zu optimieren. Dazu wird beim Klavier der Hammerweg verkürzt. Gleichzeitig wird damit verbunden aber das Gewicht auf den Tasten verändert, was intuitiv zu der kontraproduktiven Reaktion des erhöhten Krafteinsatzes beim Herunterdrücken der Taste verführt. Beim Flügel wird übrigens im Gegensatz dazu die Mechanik seitlich verschoben, so dass bei allen Tönen mit 2-3 Saiten eine Saite weniger angeschlagen wird. Daher der Name Una-Corda-Pedal für das linke Pedal am Flügel. Una-Corda heißt eine Saite und gemeint ist damit, dass eben eine Saite weniger angeschlagen wird. Dadurch erreicht meine eine Reduzierung des Klangvolumens, das sich in einer verminderten Lautstärke ausdrückt. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass die Hammerköpfe bei den Tönen mit nur einer Saite im Bass auf der einen Hälfte weicher gestochen sind, wodurch der Klang leiser werden soll.

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Leise spielen durch ein gefühlvolles Drücken der Tasten

Leise spielen mittels reduzierter Anschlagsdynamik

Das Leisespiel lediglich auf der Grundlage einer reduzierten Anschlagsdynamik wird erschwert, da sich die Klavierhersteller gegen den weicheren und somit romantischeren Klang zu Gunsten des so genannten brillanten Klangs entschieden haben. Der Hintergrund für diese Entscheidung war ursprünglich eine reine Sparmaßnahme. Man hat den manuellen Prozess des so genannten Walkens eingespart, indem man den Filz nun von Maschinen pressen lässt. Der Unterschied ist qualitativ schwerwiegend: Die maschinell produzierten Filzplatten haben eine vergleichsweise geringere Spannung. Aus diesem Grund werden die Filze nachträglich mit einer klebrigen Flüssigkeit getränkt. Der Filz verliert damit zwei wesentliche Qualitätsmerkmale:

  1. Der Filz auf den Klavierhämmern ist nicht mehr elastisch und kann sich somit nicht mehr entsprechend der Anschlagsdynamik verformen. Dieser Verlust bedeutet in der Folge, dass man an derartigen Pianos die Klangfarben nicht mehr variabel gestalten kann. Das heißt aber, dass man den Klavieren und Flügeln die einzige zusätzliche Möglichkeit genommen hat, um neben der Variation der Lautstärke über die Beeinflussung der Klangfarben im Zusammenhang mit der für das Piano typischen Anschlagsdynamik das angestrebte gefühlvolle, da ausdrucksstarke Klavierspiel möglichst vielfältig, und das heißt letztendlich intensiv, gestalten zu können.
  2. Der Filz der neuen Klaviere kann nicht mehr jenes Klangmuster erzeugen, das über eine entsprechende Anpassung der Ohrmuskeln als Filter für diesen Klang über den für Herzschlag und Atemrhythmus zuständigen Vagusnerv quasi automatisch Entspannung auslöst.

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Haben denn die Klavierbauer von der Fehlentwicklung nichts bemerkt?

Wie der brillante Klang ins Klavier kam

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sämtliche Klavierhersteller diese qualitative Veränderung des Klangs nicht nur gebilligt, sondern unverschämterweise auch noch mit einem scheinbaren Mehrwert-Begriff belegt haben, nämlich dem brillanten Klang. Diese Bezeichnung wurde einst von genialen Dirigenten Herbert von Karajan in seiner so erfolgreichen Zeit bei den Berliner Philharmonikern im Zusammenhang mit einem erhöhten Kammerton kreiert, der beim Orchester dazu führt, dass die Streicher besser gehört werden. Das Orchester bot das Instrumentarium, mit dem es schon früher für Komponisten möglich und legitim war, Klang vielfältiger zu gestalten, als das mit rein akustischen Soloinstrumenten - außer der Orgel sowie dem mehrmanualigen Cembalo mit mehreren Registern sowie dem Lautenzug! - möglich war und immer noch ist. Im Fall des höher gestimmten Orchesters trifft die Bezeichnung zu, dass der Klang obertonreicher und somit im Sinne des Wortes brillanter wurde. Da der Begriff für den Orchesterklang nicht nur bereits eingeführt war, sondern auch akzeptiert wurde, war der Transfer für die Klavierproduzenten ein leichtes Spiel. Heute bedient dieses neue Klangmuster im Piano vor allem den technisch orientierten Hochleistungs-Pianisten, wie sie vor allem aus China kommen. Schnelle Läufe werden vom Ohr besser unterscheidbar bei einem schärferen als bei einem romantisch weichen Klangmuster. Der Preis dafür ist die Tatsache, dass uns der grellere Klang anspannt. Das ist das Gegenteil der Wirkung des Klangs des Pianofortes, das Menschen für sich in der Breite als eine Möglichkeit entdeckt haben, um sich selbst harmonisieren zu können. Erinnern wir uns: 1826 wurde von Henri Pape ein Verfahren patentiert, mit dem es möglich wurde, Filzplatten dauerhaft über die Holzkerne der Klavierhämmer zu leimen. Die Befilzung und damit verbunden die deutliche Vergrößerung der Kontaktfläche zwischen Klavierhämmern und Saiten hat zu einer gravierenden Veränderung des Klangs geführt. War der Klang der Hammerklaviere ursprünglich dem Cembaloklang recht ähnlich, so wandelte sich das Klangmuster nun von obertonreich zu grundtönig. Dieser klanglich qualitative Fortschritt drückte sich in einer Modifizierung der Bezeichnung des Musikinstruments aus, da nun aus dem ursprünglichen Hammerklavier, also einem Tasteninstrument mit einer Hammermechanik, das Pianoforte wurde! Dieser Fortschritt war tatsächlich ein echter Mehrwert. Denn er war der Schlüssel für die anschließende weltweite Verbreitung des Pianofortes sowie seinen Siegeszug durch die Musik, der sich daran festmachen lässt, dass das Klavierkonzert dem ursprünglich favorisierten Violinkonzert den Rang ablief. Darüber hinaus wurde das Klavier zu einem gutbürgerlichen Klangmöbel und das Klavierspiel veränderte sich grundlegend: Aus dem Hochleistungsmusizieren einiger weniger Talente wurde ein Massenphänomen. In dieser neuen Breitenbewegung des Musizierens war nicht nur die Bedeutung enthalten, dass das Klavier für die Unterhaltungsmusik die Vorstufe des Radios war, sondern vor allem der interessante Aspekt einer Art von Musiktherapie in Selbstorganisation, wenn sich die Leute zunehmend über das Klavierspiel gegenüber den durch die Industrialisierung neu entstandenen Stress-Belastungen erfolgreich harmonisieren konnten.

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Inwiefern beeinflusst die Mechanikregulierung die Spielart?

Spielwerk, Spielart und Spielweise

Und nun kommt auch noch die Spielart im wahrsten Sinn des Wortes ins Spiel. Wenn nämlich das Spielwerk, also die Klaviatur und Klaviermechanik im Zusammenspiel, so schlecht eingestellt sind, dass die Hämmer trommeln, das heißt, beliebig oft gegen die Saiten schlagen, dann kann man diesen Fehler der Mechanikregulierung nur durch einen harten Anschlag spieltechnisch kompensieren. Sobald man aber versucht, gefühlvoll und somit ausdrucksstark Klavier zu spielen, und das würde bedeuten, das gesamte Dynamikspektrum von Pianissimo bis Fortissimo nutzen zu wollen, dann erzeugt man diesen wahrnehmbaren Fehler des Trommelns. Fehler sind in der klassischen Musik jedoch ein absolutes Tabu. Daher sind vor allem die klassisch orientierten Klavierspieler peinlichst darauf bedacht, Fehler des Spielgeräts durch eine entsprechende Anpassung der eigenen Spielweise zu vermeiden. In der Konsequenz heißt das: An diesem Piano kann man sich nicht über das Klavierspiel harmonisieren, da eben kein gefühlvolles und somit ausdrucksstarkes Klavierspiel möglich ist.

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So viel Theorie. Wie wäre es mit einem Praxisbeispiel?

Ein Kleinklavier von Kemble

So empfand ich das Spiel auf einem Kleinklavier von Kemble, das längere Zeit nicht genutzt, und daher zusätzlich auch noch ziemlich verstimmt war. Dieses Kleinklavier wurde 1975 gebaut. Das war noch die Zeit, als Kemble lediglich ein englischer Klavierhersteller und noch nicht der vollwertige Partner von Yamaha für dessen für den europäischen Markt und daher in Europa produzierten Klaviere war. Was also würde ich durch meinen Klavierservice dazu beitragen können, um aus diesem in der Anlage nicht gerade hochwertigen Instrument ein Musikwerkzeug zu machen, an dem das Klavier spielen Freude bereitet und Entspannung ermöglicht und somit unmittelbar zur möglichst häufigen Wiederholung des Klavierspiels einlädt?

Bevor ich dieses Instrument stimmen konnte, musste ich zuerst ein weiteres Handicap beseitigen. Denn manche Tasten blieben hängen und Klavierhämmer fielen nicht vollständig in die Ausgangsposition zurück. Das führte beim Probespiel vor dem Stimmen dazu, dass einige Töne einfach nicht anschlugen.

Klemmende Klaviertasten und hängende Klavierhämmer Verstimmung 428 Hertz

Fehlende Töne sind natürlich massive Störungen, die in der Regel dazu führen, dass man auch selbst in seinem Spiel hängen bleibt und im Extremfall das Stück abbrechen muss. Die Ursache für die in unserem Fall mangelhafte Klaviatur war ein wohl länger dauernder Besuch von Mäusen im Klavier. Deren hinterlassene Reste fielen zwischen die Tasten und blockierten so den flüssigen Ablauf. Um also unter den Tasten sowie in deren Zwischenräumen sauber machen zu können, muss man ein Klavier erst mal weitgehend auseinander nehmen muss, wie die folgenden Bilder zeigen.

Klavier ohne Klaviatur und ohne Klaviermechanik Klaviermechanik ohne Klavier Gestimmt 428 Hertz

Nach Erledigung dieser Vorarbeiten konnte das Klavier gestimmt werden. In Rücksprache mit dem Klavierbesitzer wurde es auf der vorhandenen Tonhöhe von 428 Hertz gestimmt. Beim erneuten Probespiel nach dem Stimmen stellt man erfreut den Fortschritt hinsichtlich der nun guten Stimmung fest. Nach Wegfall der Verstimmung als Störungsquelle fällt jetzt deutlich das Trommeln in jenen Passagen auf, die vom Klavierspieler besonders gefühlvoll gestaltet werden sollten. Daher folgte nun ein weiterer Tiefgang in das Innenleben des Klaviers, um nämlich die Spielart in der Basis zu verändern.

Kemble Klavier ohne Klaviermechanik Kemble Klavier ohne Verkleidung Lose Klavierhammerköpfe

Nach dem Verändern der Spielart sowie dem Beheben einer ganzen Reihe von Nebengeräuschen mit unterschiedlichen Ursachen ist erst ein wirklich störungsfreies Klavierspiel möglich. Ab sofort braucht der Klavierspieler nicht mehr seine Konzentration auf das Vermeiden von Fehlern ausrichten, sondern kann sich im Gegenteil völlig darauf einlassen, aus dem Musikinstrument das Optimum an gefühlvoller Musik herauszuholen. Damit wurde aus Sicht des Klavierservice ein ganz wesentlicher Aspekt erreicht. Denn die Summe all der Eingriffe hat es ermöglicht, dass der Klavierspieler anstelle einer negativ ausgerichteten Fehler-Vermeidungs-Strategie jetzt einer positiven Ausdrucks-Optimierung-Strategie folgen kann. Konzentration ist eine die Wahrnehmung einschränkende Ausrichtung. Denn sie orientiert sich punktuell, z.B. an dem Auftreten und Vermeiden von technischen Fehlern. Konzentration grenzt somit zwangsläufig aus. Die scheinbar identische Übersetzung in Aufmerksamkeit hingegen öffnet, indem sie neue Möglichkeiten integriert und dazu führt, dass man seine Potenziale zunehmend entfalten will und kann. Die Aufmerksamkeit ist auf das Ganze und somit Wesentliche, also auf die Musik und deren Performance gerichtet. Erst auf der so erreichten Basis kann aus Musik eine Sprache werden, die dazu dient, die eigenen Gefühle musikalisch auszudrücken, und damit verbunden in den Genuss all der wunderbaren Wirkungen einer Musiktherapie in Selbstorganisation zu gelangen!

Ohne Trommeln

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Was ist eigentlich aus Kemble geworden?

Wie es mit Kemble weiterging

Wegen dem weltweit stark rückläufigen Klaviermarkt wurde die Produktion von Kemble in England von Yamaha in Übereinstimmung mit der Firmenleitung geschlossen. Die Marke Kemble wurde in die indonesische Produktion von Yamaha integriert. Damit der englische Klavierproduzent Kemble diesem Arbeitsplatzabbau in England zustimmt, wurde dessen Chef, Brian Kemble, von Yamaha zum Geschäftsführer des österreichischen Premium-Flügel-Herstellers Bösendorfer befördert, der seit 2007 zum Portfolio von Yamaha gehört. Bösendorfer soll von Yamaha als Gegenmarke zu Steinway & Sons aufgebaut werden. Wie man hört, sind die Ergebnisse bei Bösendorfer vielversprechend.

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