Gibt es auch ein Tieferstimmen?

Ja! Es gibt auch ein Tieferstimmen, wie Sie bei der folgenden Aufnahme hören können. Es handelt sich um einen alten Flügel der Marke Ibach, der in einem Studio steht. Studios, die hauptsächlich moderne Musik aufnehmen und bearbeiten, leisten sich nur selten ein akustisches Klavier oder gar einen Flügel. Daher findet man dort wenn überhaupt ein Akustikpiano dann häufig ältere sowie zum Teil überholte Instrumente. Diesen Flügel, der aufgrund seines Alters hinsichtlich der Tonhöhe von 440 Hertz limitiert ist, musste ich von einer Tonhöhe zwischen zwei Halbtönen daher auf exakt einen Halbton tiefer stimmen, damit er in Zukunft gemeinsam mit anderen Instrumenten verwendet werden kann.

Lautstärke ist ebenso wie die Tonhöhe ein kritisches Thema für den Klavierbau. Denn beide Kriterien sind technische Errungenschaften der Vergangenheit, also lediglich Fortschritte auf dem Weg der technischen Machbarkeit. Bei der Lautstärke und dem Tonumfang des Instruments ging es darum, dass sich der Flügel auf der Bühne gegen ganze Orchester durchsetzen musste, bzw. das Grand Piano für Klavierkonzerte immer größere Hallen mit einem immer größeren Publikum beschallen musste. Schon seit längerem ist der Trend bekannt, dass die Musik immer lauter wird und die Tonhöhe weiter ansteigt. Eigentlich würde man diese Tendenz zur Steigerung der inneren Anspannung bei der Rock-Musik aber nicht unbedingt bei der Klassik erwarten. Zu Lebzeiten von Johann Sebastian Bach musizierte man in Deutschland auf der Tonhöhe von 415 Hertz, was genau einem halben tiefer als die heute üblichen 440 Hertz entspricht. Um 1900 waren Tonhöhen von 430 und 435 Hertz üblich. Erst 1939 legte man die Tonhöhe als eine internationale Norm auf 440 Hertz fest, was dem damaligen Zeigeist entsprach, der aufgrund des bevorstehenden Zweiten Weltkrieges vom Militarismus geprägt war. Dazu muss man wissen, dass Militärkapellen auf 460 Hertz stimmen! Wenn Sie aber heute ein klassisches Orchsesterkonzert besuchen, so sind die Instrumente dort mindestens auf 442 Hertz, häufig schon auf 443 oder gar 445 Hertz gestimmt. Diese Tatsache verdanken die Orchester dem Dirigenten Herbert von Karajan, der ja bekanntlich zweimal in die NSDAP eingetreten ist. In seiner Zeit bei den Berliner Philharmonikern lies er das Orchester mit dem Scheinargument auf 445 Hertz stimmen, dass man dann die Streicher besser hören würde. In Wahrheit ging es Karajan um die Anwendung des Geheimwissens, dass nämlich zwischen der Tonhöhe der Grundstimmung der Musik und der dadurch im Menschen bewirkten Anspannung ein direkter Zusammenhang besteht. Die erhöhte Anspannung, die durch die höher gestimmte Musik transportiert wird, wollte Karajan bei seinen Musikern und dem Publikum auslösen. Hinsichtlich der Wahl der Tonhöhe sowie der Art zu stimmmen, sind Musiker aus der Rock- und Pop-Szene wesentlich flexibler. Gerade bei den Gitarristen ist eine vielfältige Stimm-Kultur zu beobachten. Bei dieser Instrumentengruppe orientiert man sich bei der Wahl der Tonhöhe zuerst an den eigenen Bedürfnissen wie die Stimmlage des Sängers und/oder die leichtere Manipulierbarkeit der Saiten. Daher ist es letztlich nahe liegend, dass sich wie im vorliegenden Fall ein freier Musikproduzent, der eher bei Rock und Pop als bei der Klassik zu Hause ist, für diesen unseren Ohren wohltuenden Schritt begeistern konnte, den Flügel auf 415 Hertz und somit tiefer als die heutige Norm zu stimmen. Wie ich oben erwähnte, waren 415 Hertz zur Lebzeit Johann Sebastian Bachs (1685 - 1750) der offizielle Kammerton. Das heißt, unsere Kirchenlieder wurden einen halben Ton tiefer geschrieben, als wir heute singen sollen. Bei einem inzwischen überalterndem Kichenpublikum eine widersinnige Verhaltensweise - wie so vieles in unserer sich stark wandelnden Zeit, was von früher unkritisch übernommen wird.

Übrigens: Haben Sie schon einmal den Spruch gehört, dass jeder Mensch seinen eigenen Ton besitzen würde? Gemeint ist die Grundtonhöhe unserer Stimmlage, also unser ganz persönlicher Kammerton. Dieser ist aber nicht fix im Sinne von starr, sondern dynamisch. Was heißt das? Die Tonhöhe unserere Stimme ändert sich in Abhängigkeit mit unserer inneren Befindlichkeit. Sind wir entspannt, ist unsere Stimme tiefer. Sind wir dagegen angespannt und nervös, kreischen wir. Genau das macht umgekehrt eine tiefer oder höher gestimmte Musik mit uns, also mit unserer inneren Befindlichkeit: Sie löst in uns eine An- oder Verspannung aus! Je nach Intention, was man mit der Musik erreichen will, sollte man also auch den Kammerton im Idealfall flexibel einsetzen können. Das wird vor allem durch die die zunehmende Digitalisierung auch für Instrumente mit einem so großen Tonumfang und dementsprechend vielen Saiten wie beim Klavier immer leichter möglich.

Ibach 430 Hertz verstimmt Ibach 415 Hertz tiefer gestimmt Praeludio Ibach 430 Hertz Ent-Spannung Praeludio Ibach 415 Hertz Zum Seitenanfang Zurück zur Themenübersicht